Die Freuden der nie endenden Schallplattensuche hat mich im letzten Jahr zweimal ins beschauliche Mannheim geführt. In den sog. Quadraten, jener zweifelhaften städteplanerischen Errungenschaft, für die Mannheim mehr oder weniger berühmt ist, findet man mit Comeback Records einen kleinen aber durchaus feinen Laden, der die wesentlichen Anforderungen zur Befriedigung der Gelüste eines Crate Diggers erfüllt. Vor der Tür stehen die obligatorischen Ein-Euro-Kisten, im Erdgeschoss gibt's DVDs und CDs und im Keller schließlich jede Menge Vinyl mit Potenzial für staubige Finger.
Der stilistische Schwerpunkt liegt eher auf dem Bereich Gitarre/Metal, doch auch die Jazz-Abteilung kann sich durchaus sehen lassen. Insbesondere im Bereich des härteren Metal sowie Stoner/Doom findet sich ein reichhaltiges Angebot an Neuem und Altem. Doch auch die übrigen Genres sind recht bunt und mit der einen oder anderen Überraschung bestückt, so dass sich neugieriges Graben auf alle Fälle lohnt. Neuware gibt's natürlich auch, wobei sich hier der Schwerpunkt auf Gitarren besonders niederschlägt, aktuelle Releases aus den Bereichen Elektronik oder HipHop sind hier eher spärlich gesät.
Vorgehört werden können die potenziellen schwarzen Schätze natürlich auch, wenngleich die einzige Aparatur hierfür schon deutlich bessere Tage gesehen hat. Jedem Audiophilie-Nazi dürfte allein die Vorstellung kalte Schauer über den Rücken schicken, seine Platten einem solchen Gerät auszusetzen. Wie sich das für einen Vinyl-Dealer gehört, wird an der Theke ordentlich getratscht und gefachsimpelt, und der Besitzer ist durchaus verhandlungsbereit, was die aufgeklebten Preise angeht. Diese sind im übrigen nicht durchgehend aus Discogs abgetippt, so dass sich hier bisweilen mit Beharrlichkeit ein Schnäppchen finden lässt. In meiner Plattentasche sind aus dem Sortiment bisher u.a. die folgenden LPs gelandet:
Camper Van Chadbourne - Dito
Einen posthumen Hit haben Camper van Beethoven Michael Moore zu verdanken, der ihren grandiosen Song "Take the Skinheads Bowling" für seinen Film "Bowling for Columbine" verwendete. Neben den eingängigen Varianten, die Sänger David Lowery später mit seiner zweiten Band Cracker auch kommerziell perfektionierte, hatten die kalifornischen Sound-Anarchisten aber auch krachig-verspielten Irrsinn drauf. Den haben sie auf ihrem dritten, selbstbetitelten Album mit Unterstützung von Eugene Chadbourne wohl auf die Spitze getrieben. Die Platte hätte genausogut im Free-Jazz-Fach landen können, weshalb der Labeldruck auch als Karikatur der Impulse-Ästhetik daher kommt. Ein wunderbar abseitiges Stündchen Humor mit einer ordentlichen Prise Lärm, das instrumentalen Freak-Out mit Bluegrass paart, ohne dass dies wie ein Bruch erschiene. Und bei Eugene Chadbourne kann man eigentlich eh blind zugreifen.
James "Blood" Ulmer - Are You Glad To Be In America?
Noch vor wenigen Wochen habe ich den fraglichen James "Blood" Ulmer live mit seinem Trio gesehen, und man muss sagen, dass der Mann noch jede Menge Wucht hat und von Altersmilde noch keine Spur zeigt. Diese 1980 für Rough Trade eingespielte Platte begründete jedoch erst seinen Ruf als Gitarren-Erbe der Harmolodik von Ornette Coleman und Erfinder des Free Funk. Zur Seite standen ihm damals unter anderem so prominente Unterstützer wie Ronald Shannon Jackson an den Drums und David Murray am Saxophon sowie der Trompeter Olu Dara, dessen Sohn zwölf Jahre später unter dem Künstlernamen Nas für Furore ganz anderer Art sorgen sollte. Die Platte geht ordentlich zur Sache, hält sich dabei aber meist an ein recht stabiles und gerades rhythmisches Gerüst, was wohl als Tribut an den Funk betrachtet werden kann. Die etwas unterkühlte Klangästhetik konterkariert das Ganze zudem ein wenig und rückt den Sound näher in die Gefilde des Labels und der Zeit, die sie hervorbrachte.
Sly & The Revolutionaries meet Lloyd Parks, We the People band and Roots Radics - Trench Town Dub
Der Interpreten-Name dieser Platte ist rekordverdächtig lang, doch alle vier erwähnten Beteiligten machen bereits klar, dass es sich hier um ein All-Star-Line-Up in Sachen Dub handelt, wenngleich kaum Details zur Aufnahme zu erfahren sind, außer dass sie 1976 in den Studios von Channel One und Joe Gibbs entstanden sind, beides Garanten für feinsten Dub aus dieser Ära. Dementsprechend wird hier stark reduzierter und tiefer Dub geliefert, der nach den beiden zuvor erwähnten Platten eine Art Friedensangebot in Sachen entspanntes Hören darstellt, zugleich aber die Bässe der Anlage ordentlich herausfordert. Für mich ist das ein Sound, von dem ich eigentlich nicht genug bekommen kann, bei dem ich mich aber manchmal frage, wie viele Variationen ich davon noch brauche. Diese Variation ist auf jeden Fall eine überaus feine, nicht zuletzt da sie wirklich oft nur noch Haut und Knochen des rhythmischen Gerüsts präsentiert und damit das, was man bei einer guten Dub-Platte sehen bzw. hören will. Jah bless!
Where's the caddy?
Word and Sound
caddy
Dienstag, 24. Februar 2015
Sonntag, 8. Februar 2015
Auslese 2014 – Teil 6
Hier kommt der letzte Teil des
Jahresrückblicks für 2014, auch wenn es mittlerweile Februar ist.
Schließlich sollen auch noch die eher elektronischen Platten zu
ihrem Recht kommen, denn auch dort gab es das ein oder andere
Highlight.
Aphex Twin – Syro
Die erste Platte in dieser Reihe kann man wohl eher
als das Comeback des Jahres bezeichnen. Immer wieder habe ich die
Weiten des Netzes in den letzten Jahren nach einem Lebenszeichen von
Richard D. James aka Aphex Twin abgesucht, doch zu finden war da
nicht viel. Angesichts des letzten Albumtitels
„Drukqs“ vor sage und schreibe 13 Jahren kann man nun spekulieren, was das für Hintergründe gehabt haben könnte. Jetzt ist seine bizarre
Majestät, König so ziemlich aller Spielarten verspulter
elektronischer Musik, aber wieder da. „Syro“ fügt sich recht nahtlos
in sein bisheriges Schaffen ein und bietet vor allem Material,
das an die großartigen „Selected Ambient Works“ anknüpft,
manchmal aber auch in etwas gehobener Tempo-Bereiche vordringt. Die
Wildheit seiner „I care because you do“-Phase samt ihrer Kettensägen-Brachialität bleibt dagegen meist
außen vor. Blendet man den die LP begleitenden Irrsin von PR-Stunts
via Zeppelin über Geräteparklitaneien bis hin zu
Release-Flut-Drohungen aus, ist das eine gute Nachricht. Wer jetzt
erwartet hat, dass die LP mindestens eine Revolution in Gang setzen
muss, der wird vielleicht enttäuscht sein. Doch das Niveau, auf dem
man hier jammert, ist denkbar hoch. Außerdem hat James selbst
betont, dass es sich bei den jetzt veröffentlichten Stücken um
einen Querschnitt aus den letzten Jahren handelt und neues Material
schon in der Pipeline ist. Man darf also gespannt sein, was der Mann noch zu sagen hat, zumal mit
„Computer Controlled Acoustic – Pt 2“ sich der nächste Release
bereits in der Post auf dem Weg zu mit befindet.
Flying Lotus – You're Dead
Fusion Jazz ist sowas wie das
ästhetische Schreckgespenst der 70er, der Virtuositäts-Wichs-Fetisch für
Oberstudienräte, beliebige weitere Schmähungen kann hier jeder selbst einfügen. Einerseits ist es unvermeidbar, dass auf der Suche
nach potenziellen Hypes und Anknüpfungspunkten auch mal dieses Genre
dran sein muss. Andererseits gehört eine ganze Portion Innovation,
Können und Mut dazu, wenn man diesen Sound erfolgreich in einen
gegenwärtigen Musikentwurf einbetten will, der irgendwie in die
Zukunft gerichtet ist. Aktuell gibt es mit Flying Lotus wohl nur
einen Kandidaten für diese Mission Impossible, und nach den
durchgehend tollen Vorgängeralben meistert er auch diese Aufgabe
brillant, nicht zuletzt dank des Tiefton-Meisters Thundercat an
seiner Seite sowie Kollaborationen mit MCs wie Kendrick Lamar und
Snoop Dogg. Das Album ist ein irrer, psychedelischer Trip quer durch
die zerfrickelten Beatwelten, die mit einer gehörigen Portion
Retro-Fusion so richtig in Schwung gebracht werden. Und wenn es eines
Ritterschlags von höchster Stelle noch bedurft haben sollte, so
nimmt das hier Herbie Hancock vor, der auch auf ein paar Läufe auf
der Tastatur vorbeischaut. Auch der hat wohl eingesehen, dass er lieber kollaboriert und seinen eigenen Ruhm bei einer jungen Generation mehrt, statt seinen Jünger im Geiste mit Klagen wegen Copyright-Verletzungen zu überziehen. Der Klassen-Primus unter den Beat-Bastlern
des 21. Jahrhunderts hat es also wieder getan und den Kreis quadriert.
Hieroglyphic Being And The
Configurative Or Modular Me Trio – The Seer Of Cosmic Visions
Nach dem zu schließen, was ich vor
einer Weile an Kommentaren von Hieroglyphic Being zum Zeitgeschehen
gelesen habe, scheint es sich um einen Verschwörungstheoretiker und
Kosmologen erster Güte zu handeln. Kryptisch kommt auch der um zwei
optionale / fiktionale Trios erweiterte „Band-Name“ der hier gefeatureten LP daher, auch
wenn man wohl davon ausgehen kann, dass sich dahinter nur Jamal R.
Moss in Allianz mit seinen alten Analog-Maschinen verbirgt. Dass
Discogs seit 2008 ca. 30 LPs für diesen Mann listet, belegt weiter,
dass es sich hier um einen Getrieben handelt. Beides kann man auch als vage Analogien zu seinem offensichtlichen Helden und Vorbild Sun Ra lesen. Konkret finden sich auf
dieser durchaus ausgewogenen Zusammenstellung neun Stücke, in denen
der analogen Verzerrung gehuldigt wird und der Hörer sowas wie
Noise/Improv-Deep-House-Acid um die Ohren gehauen bekommt, der auch mal im Verzerrer-Rauschen versinken darf. Wem die
übliche 4-to-the-Floor-Kost zu bieder ist, aber nicht ganz auf die
straight scheppernden Drums im repetitiven Krachgewitter verzichten
möchte, der findet hier Erlösung auf höggschdem Niveau. In der
Weltmeisterkabine dürfte das aber eher nicht gelaufen sein, wohl
eher David Guetta. In einer solchen Welt, auf die wir wohl noch lange warten müssen, würde Jogi Löw dann wohl auch Sun Ra statt Helen Fischer oder Pur hören.
Cooly G – Wait 'til Night
Hyperdub ist seit vielen Jahren so
etwas wie die absolute Bank in Sachen Bass Music. Den Verlust des
grandiosen Space Ape habe ich hier schon bereits vor einigen Wochen
beklagt und dabei seine letzte EP noch einmal ins rechte Licht
gerückt. Cooly G, eine der durchaus zahlreichen Ladies im Hause
Hyperdub - wie etwa die phantastische Laurel Halo -, hat dieses Jahr nochmal nachgelegt, nachdem ihr
Debut „Playin Me“ vor zwei Jahren bereits Wellen geschlagen hat.
Bei ihr geht es reduziert digital zu, die Stimmung bewegt sich
zwischen Melancholie und erotisierter Sehnsucht. Sie vereint dabei
das Rohe und das Elegante in einem Sound, der alle denkbaren Facetten
britischer Bass Music aufgesogen hat und nun dessen feinstes
Destillat hervorbringt. Die bisweilen kühle Schlichtheit ihrer
Sounds kontrastiert teilweise scharf mit der sexuellen Aufladung der
Vocals, was einen besonderen Reiz ausmacht und dieser Platte auf
jeden Fall einen vorderen Platz einbringt.
12“es
Das mit den Maxis ist teilweise ein
etwas mühsames Geschäft, doch zwei Favoriten aus dem letzten Jahr
sollen hier noch einmal hervorgehoben werden, da sie besonders
bemerkenswert waren.
JETS feat. Jamie Lidell – Midas Touch
Bei dieser Geschichte kann ja fast
nicht schief gehen. Detroit-Revivalist Jimmy Edgar und
Avant-Dancefloor-Frickler Travis Stewart aka Machinedrum zerren gemeinsam unter ihrem Alias JETS den
großen Crooner der elektronischen Tanzmusik, Jamie Lidell, vors Mikro.
Das Ergebnis ist fantastisch groovendes Tanzflächenmaterial mit
Tiefgang und beseeltem Gesang. Ein echtes Highlight, das aus der auch ansonsten wirklich tollen gemeinsamen LP der beiden noch einmal heraussticht.
Theo Parrish / Tony Allen – Day Like
This / Feel Loved
Natürlich könnte man Theo Parrish
auch eine Etage drüber bei den LPs für „American Intelligence“
abfeiern, wie im übrigen auch Moodymann mit seiner nach ihm selbst
benannten 2014er LP. Da jedoch beide als Deep-House-Legenden
gewissermaßen ohnehin schon larger than life sind, sei hier nur auf
die angesichts der erratischen Veröffentlichungsstrategie von Parrish leicht zu übersehende Kollaboration von ihm und dem Ur-Vater des
Afro-Beat, Tony Allen, verwiesen. Hinter seinem Drumkit treibt Allen
mit seinem absolut bestechenden und rhythmisch-vertrackten Groove
seinen Kollaborator zu Höchstleistungen an. Sounds like real Afro-Futurism.
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